Kommentar zu Daniel Loick: Der Missbrauch des Eigentums, Berlin 2016



Ignorieren, aber keine Aufkündigung des Eigentums


„Lieber Instandbesetzen als Kaputtbesitzen“, dieser Schlachtruf der Hausbesetzerszene nimmt die Differenz zwischen dem Gebrauch und dem Eigentum eines Gegenstandes wahr und auf, und schlägt sich ganz auf die Seite des Gebrauchs.

Loick entfaltet dasselbe Urteil zum Eigentum aus einer Reflexion der Geistesgeschichte des Eigentums und beschliesst mit dem Ergebnis, dass dem Eigentum ein "Missbrauch: sowohl der Dinge als auch der Menschen" (Umschlagrückseite) inhärent ist. Trotz der gut erläuterten Erkenntnis, dass den Menschen das Eigentum individuell wie gesellschaftlich zum Schaden gereicht, wird weder Loicks Würdigung der Theoretiker des Eigentums noch seine eigene Befassung mit dem Eigentum dem Sachverhalt letztlich gerecht – mit praktischen Konsequenzen.


Ausgangspunkt ist für Loick das "allgemein geteilte Axiom, dass Gebrauch Eigentum voraussetzt: Um eine Sache auf legitime Weise zu gebrauchen, ist die Befugnis nötig, alle anderen von ihr auszuschließen" (17)

Daran und an der weiteren Ausgestaltung dieses Theorems der Verunmöglichung des Gebrauchs wird deutlich, dass Loick das Eigentum gar nicht in seiner positiven Substanz und Qualität fasst und daraus seine auch ausschliessende und gegen die Menschen gerichtete Wirkung (das meint er, etwas missverständlich, mit "Missbrauch") erklärt. Vielmehr nimmt er das Eigentum   n u r  in seiner negativen Konsequenz, dieser seiner Wirkung. Eigentum selbst und für sich firmiert mehr oder weniger als Leerstelle, einerseits als eine unbestimmte Art von Verfügen und Gebrauch, andererseits darin als privat statt gemeinschaftlich. Loicks Urteil zum Eigentum selbst kann von daher nur unbedeutend und kraftlos bleiben. Eine erklärende Begründung des heute mehrheitlich gewollten Eigentums ist ihm dann schon gar nicht mehr notwendig.


In Abschnitt "I. Der Gebrauch des Eigentums" thematisiert Loick zwei traditionelle theoretische Befürworter des (Privat)Eigentums.


Das ist zum einen Locke, der mit dem Auftrag Gottes, sich die Erde untertan und nutzbar zu machen, das Eigentum und, wie Loick zurecht betont, den Kolonialismus, wie auch (kapitalistische) Herrschaftsverhältnisse und die ökologischen Ruinierung der Erde rechtfertigt. So ist es mit der bekannten Begründung des Eigentumserwerbs durch die werktätige Bearbeitung der Natur bei Locke nicht weit her, soll doch auch der "Torf, den mein Knecht gestochen hat" dem unternehmenden Herrn zueigen sein.


Als zweiten traditionellen Befürworter des Eigentums führt Loick Hegel an, der – nach der Lesart Loicks – das “Subjekt als Appropiationseffekt” (48, Zwischentitel) sieht:

“Erst indem es sich Dinge aneignet, wird das Subjekt zum Subjekt”(50), “Die durch das Eigentum erzeugte Rechtspersonalität….”(54)

Damit kehrt Loick Hegels (logische Notwendigkeit beanspruchende) Darlegung völlig um:

Hegel sieht das abstrakte Subjekt der Person als das, woraus das Eigentum als seine Wirklichkeit notwendig sich erst ergeben kann und soll. Loick ignoriert so nicht nur die hegelsche Herleitung des abstrakt freien Willens aus dem Willen überhaupt, sondern auch die Schlussfolgerung auf das Eigentum, und unterwirft schon deshalb diese entscheidenden (wie falschen) Momente der hegelschen Argumentation keiner kritischen Überprüfung. Das harte Urteil Hegels zum Eigentum selbst weiss er gar nicht zu würdigen, dass eben dieses rechtlich relevante Verfügen namens Eigentum von vornherein der materiellen Bedürfnisbefriedigung äußerlich ist (§45: „Eigentum zu haben, erscheint in Rücksicht auf das Bedürfnis,..., als Mittel; die wahrhafte Stellung aber ist, dass … das Eigentum … wesentlicher Zweck für sich ist.“). Entgegen diesem im Grunde schon vernichtenden Urteil scheint Loick dem Eigentum einen Restanspruch auf Gebrauch noch zugute zu halten, sonst würde seine Kritik am Eigentum nicht (titelgebend) als "Missbrauch" formuliert sein.

Die von Loick bei Hegel dennoch bemerkte inhaltliche Eindimensionalität der Subjekte im Recht ("' abstrakte Weise', in der Welt zu existieren", 54) ist ihm aber auch noch nicht monströs und hinreichend genug für eine Kritik dieser Art von Subjekt.

Lieber verlegt er die Kritik in die von Hegel wahrgenommenen vom Eigentum ausgeschlossenen Subjekte (Pöbel oder Verbrecher), deren "Selbst- und Weltverhältnis" (70) (angeblich) nicht nur allein einen materiellen Gebrauch anstrebt, sondern darin dann auch "den Zusammenhang von Freiheit und Eigentum dementiert" (71)


Im Abschnitt "II. Der Missbrauch des E "(73ff) führt Loick die bekannten Kritiken des Eigentums an, die allerdings ebenfalls nicht so sehr mit dem Eigentum selbst und mit seinen Gründen (also den positiven Inhalten von Eigentum) abrechnen, sondern sich damit begnügen, die sozial wie ethisch schädlichen Konsequenzen des Eigentums polemisch vorzuführen:


Nach Proudhon etwa sei Eigentum „nicht die Bedingung, sondern ein Hindernis des Gebrauchs“ (73), allerdings in einer Weise, die dem Eigentum noch etwas zugute hält: Laut Proudhon sind beim Eigentum "die Grenzen zwischen Gebrauch und Missbrauch notwendigerweise fliessend."


Erst bei Marx sieht Loick einerseits den Missbrauchs des Eigentums als Notwendigkeit vorgebracht: "Eigentumsregime, sobald es sich auf die gesellschaftlichen Produkionsmittel erstreckt, [führt] unweigerlich zu Ausbeutung"(80), und weiter zu "Ungerechtigkeit", "Dysfuntionalität" und "Entfremdung". „Die Schwäche der Marx´schen Kritikstrategie“ (86) erkennt Loick andererseits darin, dass sie sich nur „auf das Privateigentum an Produktionsmitteln“(87) bezieht.

Dem mag man bei der undeutlichen marxschen Entfaltung dessen, was Eigentum ist, und warum es wie sein muss, und der prospektiven Sichtweise auf das Eigentum bei Marx selbst und bei den traditionellen Marxisten („enteignende Aneignung“, 120) sogar zustimmen. Bei Marx und diesen Marxisten bleibt das von Loick aufgenommene Theorem: „Gegenüber den Rechtsverhältnissen behalten die ökonomischen Verhältnisse … den Status als Determinante in letzter Instanz“ (79) nicht nur in Bezug auf das Eigentum allemal eine leere, nicht erwiesene Behauptung.


Widersprechen kann man Loick wie Marx aber in Hinblick darauf, was an Erklärungskraft für das abstrakte Wollen, wie es Eigentum und Person in ihrer Rechtlichkeit darstellen, in den Kategorien von „Das Kapital“ (wenn auch nicht in der Ware) doch zu finden ist:

Alle Teilnehmer an der bürgerlichen Ökonomie und von daher Einkommensbezieher sind solche nur als abstrakt verfügende, weil etwas verleihende: Geld, Natur, Mensch. Damit ergibt sich eine  N o t w e n d i g k e i t  für ein derartiges Eigentumsverhältnis mit konsekutivem Ausgriff auf alle Dinge. Das bedeutet dann nicht nur, dass Ausbeutung unter Bekräftigung und Bewahrung eines Eigentumsverhältnisses gegenüber sich beim Lohnarbeiter durchgeführt wird, sondern auch, dass der Lohnarbeiter als verleihendes Subjekt seiner selbst den Prototyp der nackten Rechtsperson aus sich heraussetzen  m u s s  . Insgesamt ist diese Notwendigkeit hin zu Eigentum und Person im Verein damit,   w a s  Eigentum haben und Rechtsperson sein zu wollen  i s t  (vgl. Hegel), als Widerspruch im Willen selbst und als Selbstbeschränkung der Menschen zu werten.

Dennoch erklärt sich darüber letztlich, warum die Menschen der bürgerlichen Ökonomie – und auch und gerade die, die es gerne wären – Recht und Staat als erste Vorausetzung für ihr Leben nehmen. Und es erhellt sich auch, warum Marxisten als Parteigänger des Lohnarbeiters mit ihrer "enteignenden Aneignung" rechtliche Staatlichkeit gerade erhalten (haben), wie Loick nur vermerkt.


Loick nimmt eine gegenüber den Marxisten radikalere Absage an das rechtliche Haben mit Agamben in der franziskanische Armutsethik des Mittelalters an, obwohl das Haben und Nicht-Haben jener Zeit wohl nicht gleichzusetzen ist mit dem heutigen abstrakt Habenwollen (s.o.). Loick selbst erläutert, wie eine derartige Negation eines gesellschaftlich geltenden Habens in nichts als einer Unterwerfung unter die Vormundschaft höherer Instanzen mündet(e).


Loicks Alternative zu all diesen von ihm kritisierten Positionen besteht in einer seine theoretischen Urteile resumierende "politischen Kritik des Eigentums" (116), einer   T a t der "Ent-Aneignung" (120):

Loick hat über das Eigentum und die (hier und jetzt) mehrheitlichen praktisch tätigen Eigentümer nichts entscheidendes mitzuteilen, entsprechend sieht er diese auch nicht als Adressaten einer Erkenntnis über das Eigentum, etwa um ihnen i h r – grundlegendes – Eigentumsverhältnis als ihnen in keiner Weise zuträglich zu erweisen.

Er setzt vielmehr auf eine  I g n o r a n z   gegenüber dem gewollten tatsächlichen Eigentumsverhältnis, und auf das rein gebrauchswertorientierte Handeln   n e b e n  der weiter bestehenden Eigentumsordnung: Kritik als beispielgebend ganz andere gesellschaftliche Tat. Die da angestrebten Commons und „Hausinstandbesetzungen“ mögen als praktiziertes Ideal wohl das Leben der Menschen verbessern und auch die Reproduktion der Lohnarbeiter erleichtern, wenn nicht sogar in die Produktivität des Kapitals eingehen; eine Aufkündigung des Eigentums und seines Kerns ist damit weder gegeben noch verfolgt.