Kritische Anmerkungen zu

Christoph Menke: Die "andre Form" der Herrschaft. Marx´ Kritik des Rechts. In: R.Jaeggi, Daniel Loick: Nach Marx. Philosophie, Kritik, Praxis. Frankfurt 2013, 273-295.

Abstract:

Menkes geht es beim Recht „um das Begreifen seiner Existenz,...um... seine Notwendigkeit...“(284). Sein Anspruch zur Erklärung des Rechts überhaupt und im Allgemeinen besteht dabei einerseits auf einer Grundlegung bei Marx und seiner Theorie der "sozialen Herrschaft": "ohne die soziale Kritik des Rechts kann es keine kritische Theorie des Rechts geben"(274). Die Art und Weise, wie Menke sowohl diese als grundlegend genommene „Matrix“ (276) wie deshalb auch die Erweiterung des Rechts darlegt, bringt jedoch jegliche inhaltliche Notwendigkeiten für das Recht im Allgemeinen zum verschwinden. Seine Bezugnahme auf Theorem und wissenschaftliches Programm von Marx ist so leeres Bekenntnis, und resultiert folgerichtig nicht nur in einer Liquidierung der Marx zugesprochenen, sondern einer Relativierung jeder Kritik des Rechts.

0. Vorbemerkung

Christoph Menke ist als ein Kopf der Exzellenzinitiative "Herausbildung normativer Ordnungen" eine Leitfigur der Frankfurter Philosophie im Nachklang der Frankfurter Schule geworden. Sein Aufsatz bietet eine dichte Reflexion über das Recht als ausdrücklich bürgerlicher Sozialgestalt.

Menkes geht es beim Recht „um das Begreifen seiner Existenz,...um... seine Notwendigkeit...“(284). Sein Anspruch zur Erklärung des Rechts überhaupt und im Allgemeinen besteht dabei einerseits auf einer Grundlegung bei Marx und seiner Theorie der "sozialen Herrschaft": "ohne die soziale Kritik des Rechts kann es keine kritische Theorie des Rechts geben"(274).

Diese marxsche "soziale Kritik des Rechts" besteht nach Menke darin, dass "´Rechtsverhältnisse...(nicht) aus sich selbst zu begreifen sind´", vielmehr "´wurzeln (sie) in den materiellen Lebensverhältnissen´ oder ´entspringen´ aus ihnen". Darin sei das Recht die „andere Form“ von „sozialer Herrschaft“. Allerdings definiert diese "These" von Marx für Menke zwar „das Programm einer sozialen Kritik des Rechts“ (273), er selbst hält sie aber für "unzureichend" (274), soweit nur die „soziale Herrschaft“ der Ökonomie damit abgedeckt sein kann und will. Menke möchte eine ergänzende "Kritik der sozialen Kritik des Rechts skizzieren" (273).

Die Art und Weise, wie Menke sowohl diese als grundlegend genommene „Matrix“ (276) wie deshalb auch die Erweiterung des Rechts darlegt, bringt jedoch jegliche inhaltliche Notwendigkeiten für das Recht im Allgemeinen zum verschwinden. Seine Bezugnahme auf Theorem und wissenschaftliches Programm von Marx ist so leeres Bekenntnis, und resultiert folgerichtig nicht nur in einer Liquidierung der Marx zugesprochenen, sondern einer Relativierung jeder Kritik des Rechts.

Vorab: Schon was Menke bei Marx´ und speziell in "Das Kapital", aber im weiteren auch generell als "soziale Herrschaft" festgehalten haben will, gerät etwas undeutlich. Zwar gilt ihm allemal das Kommando über die Produktivkraft des Arbeiters zumindest als eine Sorte „sozialer Herrschaft“:

"Der Erwerb der Ware Arbeitskraft... bedeutet, ein Recht über den zu gewinnen, der diese Arbeitskraft allein ausüben kann: Der Erwerb der Ware Arbeitskraft begründet ein Recht auf Herrschaft über den Arbeiter." (278)

„...Prozesse der einseitigen Aneignung, der Beherrschung und Ausbeutung der einen Seite durch die andere.“ (278)

„Der dialektische Zusammenhang von Zirkulation (in der rechtliche Gleichheit und Freiheit herrschen) und Produktion (in der die eine Klasse über die andere herrscht...“(279)

"Herrschaftsverhältnisse in der kapitalistischen Produktion" (280)

Auch wenn „Ausbeutung“ ausdrücklich angesprochen ist, wird dennoch nicht recht klar, ob damit Mehrwertproduktion und Verwertung von Wert wie bei Marx gemeint sein will. Allemal scheint das bei Menke jedenfalls nicht der spezifische Gehalt von „sozialer Herrschaft“, auch nicht die der ökonomischen Sphäre darzustellen. Im Verlauf seiner Argumentation ist ihm nämlich auch „das Sozialrecht der normalisierenden Herrschaft“ eine „andere Form einer Gestalt sozialer Herrschaft“ (294).

Umgekehrt suggeriert seine inhaltlich unspezifische Kennzeichnung der ökonomischen Sphäre als (ebenfalls, wenn auch "soziale“) Herrschaft – entgegen dem Votum von Marx´ Gesamtwerk – auch die ökonomischen Inhalte als gewusste soziale Beziehungen. Bei Herrschaft ginge es aber doch immerhin um Willensverhältnisse, also Verhältnisse zwischen menschlichen Subjekten, von denen eine Seite als willentlich negierend oder dominant gegenüber dem negierten und unterdrückten Willen gefasst ist, also im und mit Wissen beider Kontrahenten. Obwohl Menke da ein Unterschied geläufig ist ("Eine genauere Darlegung dieses Zusammenhangs müsste zwischen kapitalistischer Ausbeutung und kapitalistischer Herrschaft unterscheiden", 279 Anm.), will er diese Unterscheidung in seinen eigenen Überlegungen nicht vornehmen, sondern löst sie gerade auf.


1. Recht als Form eines anderen oder seines Inhalts?

Wie auch immer der Inhalt von "sozialer Herrschaft" von Menke primär oder auch gefolgert verstanden sein will, diesem gesellschaftlichen Gebilde ordnet Menke das Recht als sein Anderes zu. Wie er das leistet, wie von ihm Recht als Anderes von "sozialer“ oder auch anderer Herrschaft entwickelt wird, kann dennoch zur Kenntnis genommen und geprüft werde. Dieses Anderssein des Rechts bezüglich dieser "sozialen Herrschaft" sieht er als Distanz, wenn nicht sogar Widerspruch zu dieser Herrschaft, allerdings ausgerechnet indem er zum Inhalt des Rechts diese Herrschaft selbst erklärt:

„Die rechtlichen Verhältnisse gleicher Anerkennung sind die sozialen Verhältnisse von Herrschaft, Unterdrückung, Ausbeutung und Gewalt in anderer Form“ (274)

"Die Form des bürgerlichen Rechts ist anders gegenüber ihrem eigenen Inhalt. Form und Inhalt – so Marx immer wieder – stehen in Differenz; sie entsprechen sich nur so, dass sie einander widersprechen. Das Recht widerspricht sich selbst; ... weil der materielle Grund wie Inhalt des Rechts die Verhältnisse sozialer Herrschaft sind und das Recht zugleich eine ihnen gegenüber andere Form hat: die von Verhältnissen gleicher Anerkennung." (274f)

Wenn mit der von Menke selbst herausgestellten "soziale Herrschaft" der Ökonomie nur ein "materieller Grund des Rechts" ausgemacht wäre, würde das zwar zunächst auch einen Unterschied festhalten und hervorheben, aber noch keinen Widerspruch beinhalten. Im Gegenteil: Wenn das Recht als willentliche Durchführung der ökonomischen Sachlichkeiten, oder auch allgemeiner als die Willensform etwa der sachlichen Ausbeutungsverhältnisse identifiziert und erwiesen wird, könnte von Widerspruch gerade nicht die Rede sein: Der eine Inhalt, die "soziale Herrschaft", wäre der Grund, der andere Inhalt, Recht, das dadurch Begründete. Ob und inwiefern diese Begründungs-Verknüpfung stimmen mag, gälte es dann an beiden Seiten wie an der logischen Entwicklung ihres Verhältnisses noch zu prüfen. So ein überprüfbares Begründungsverhältnis von „sozialer Herrschaft“ und Recht verwirft Menke aber vorab, indem er ihren Unterschied zum Verschwinden bringt. Er sieht die "soziale Herrschaft" – mit viel Berufung auf Marx – begrifflich zugleich als Inhalt des Rechts. Und behauptet in der Folge mit der gefassten Doppeltheit der Existenz des Rechts, also als Recht („Form“) und als "soziale Herrschaft" („Inhalt“), einen Widerspruch des Rechts in sich.

In sowohl der Identität wie auch der Nichtidentität von Recht und "sozialer Herrschaft" formuliert er ein Bekenntnis zur Notwendigkeit des Rechts als "Anderes". Diese in sich widersinnige "allgemeine Matrix einer kritischen Theorie des Rechts" (276) macht es grundsätzlich entbehrlich, die Besonderheit des Rechts als Notwendigkeit der "sozialen Herrschaft" inhaltlich, also aus dieser sich ergebend erst zu erweisen. Warum Recht als doch anderes als die "soziale Herrschaft", gerade darin eine besondere soziale Konsequenz eben dieses Inhalts ist und sein muss, diese Erklärungspflicht der logischen Kategorien Form und Inhalt kürzt sich mit deren Gleichsetzung heraus und entwertet sie selbst zu begriffslosen Bezeichnungen.

Über diesen Kunstgriff der unmittelbaren inhaltlichen Gleichsetzung mit seiner unterstellten Grundlage gelingt es Menke, Recht als von aller anderen Gesellschaftlichkeit wie Herrschaft gerade unabhängiges Phänomen zu befinden, als eben nur kontingente, lediglich "andere" soziale Machenschaft, die wir in unserer Gesellschaft vorfinden.

2. Bedingung und Funktion des Rechts für soziale Herrschaft statt seiner Begründung aus ihr

Mit dieser seiner nicht (mehr) begründungspflichtigen Gewissheit einer Notwendigkeit des Rechts als "Anderes" von „sozialer Herrschaft“ gelten für Menke alternative logische Notwendigkeiten zwischen dieser "sozialen Herrschaft" und dem Recht, die in sich dann nicht mehr die Zwangsläufigkeit noch die Gerichtetheit eines Grundes haben müssen.

So ist ihm Recht nicht mehr als durch die Qualität dieser "soziale Herrschaft" begründet, sondern umgekehrt und logisch statisch Recht nur existentielle Bedingung von Ökonomie oder anderer sozialer Herrschaft und so bestimmt nur in seiner Funktion für diese:

"Das Recht ist vielmehr die ´Bedingung der Existenz´ der sozialen Herrschaft.... Die soziale Herrschaft ... funktioniert ... nur durch die Rechtsform. Es bedarf .... der Existenz rechtlicher Verhältnisse gleicher Anerkennung, damit es die Verhältnisse sozialer Herrschaft und Unterdrückung geben kann. Das Recht hat eine ´ notwendige Funktion´ für die soziale Herrschaft und deshalb eine ´notwendige Präsenz´ ." (275f)

Diese Funktionalität soll nach Menke die ganze Notwendigkeit des Rechts ausmachen, nicht nur des Privatrechts, sondern auch des Sozialrechts:

„Gegenthese..., dass nicht nur das Privatrecht, sondern auch das Sozialrecht eine ´notwendige Präsenz´, weil ´notwendige Funktion´ (Balibar) in der bürgerlichen Gesellschaft hat.“ (284)

„...seine Notwendigkeit, das heißt: seine Funktionalität für diejenige Form sozialer Herrschaft, die die bürgerliche Gesellschaft konstituiert.“ (284)

Mit der Bestimmung des Rechts als Bedingung für die Möglichkeit eines gesellschaftlichen Verhältnisses ist alles andere als ein Begründungsverhältnis erfasst, vielmehr ist von so einem Ansinnen damit gerade Abstand genommen. Wenn Recht nur als Bedingung empirisch erfüllt sein muss, damit etwas anderes als es selbst stattfinden und funktionieren kann, ist das Recht – und sei es für dieses andere soziale Verhältnis noch so nützlich – gerade nicht als Form nur irgend eines zu diesem Recht treibenden Inhalts erwiesen, und so auch nicht als Form einer wie auch immer vorgestellten "sozialen Herrschaft". Das Recht kann damit auch eine natürliche wie zeitlose oder zufällig vorhandene Voraussetzung darstellen, die dem Inhalt dieser "sozialen Herrschaft" wie jeder anderen sozialen Gegebenheit gerade äußerlich ist und bleibt; wie etwa die Existenz von Mensch und Natur, welche sicher ebenfalls zu unverzichtbaren Bedingungen jeglicher gesellschaftlicher Prozesse zu rechnen sind.

Alles in Allem ist also höchstens eine Notwendigkeit von Recht für diese "soziale Herrschaft" aufgezeigt, und nur im Sinne bestimmter Regelungen und Verfahren, mit denen diese Herrschaft stattfindet; und es ist ausdrücklich nicht eine Notwendigkeit des Rechts aus, also wegen der besonderen Gesellschaftlichkeit dieser Herrschaft beansprucht.

3. Rechte für ein nicht zu begründendes Rechtssubjekt

Was bleibt, ist der Vorwurf an Marx, seine gerne beerbten philosophischen Vor-Urteile einer „allgemeinen Matrix einer kritischen Theorie des Rechts“ (276) in seinem wissenschaftlichen Werk "Das Kapital" nicht eingelöst zu haben.

Menke weist Marx so für seine "kritische These vom Recht als Verkehrung der sozialen Herrschaft in eine andere Form" nur "einen historisch wie gesellschaftlich spezifischen Gegenstand und Ort" (276) zu, das bürgerliche Privatrecht, ausdrücklich nicht das Recht überhaupt, nicht die Rechtlichkeit per se, nicht alle und jede rechtliche Regelung:

"Denn das bürgerliche Privatrecht ist für Marx die einzige funktional notwendige Rechtsgestalt der bürgerlichen Gesellschaft" (276)

"Der konstitutive Zusammenhang von rechtlicher Gleichheit und kapitalistischer Herrschaft besteht in der Verkehrung, in dem Umschlag, der an einem genau zu bezeichnenden sozialen Ort stattfindet - im Verhältnis von Zirkulation und Produktion." (279)

"Das bürgerliche Privatrecht ist nicht nur der besondere, sondern der einzige Gegenstand, für den Marx das Theorem von der sozialen Logik des Rechts ausgearbeitet hat." (280)

Allerdings: Marx hatte in "Das Kapital" überhaupt nur dieses von ihren Trägern nicht gewusste gegenständliches Gesellschaftsverhältnis systematisch abgehandelt, und eben gerade noch nicht ein deshalb besondertes willentliches Verhältnis wie das Rechtsverhältnis. Marx´ eigene Einlassungen zum Recht in "Das Kapital" und die nur vereinzelten Hinweise zu ihrer Grundlegung in dieser bürgerlichen Ökonomie, sind dann aber auch in der Tat nicht überzeugend für eine Bestimmung des Rechts überhaupt. Das gilt selbst für die auf ihn aufbauenden Rechtstheorien (wie Paschukanis etc.). Die dabei durchgehend bemühte Warenzirkulation als vermittelnde Form des Kapitals enthält zwar eine Notwendigkeit für Willensakte und -verfahren, aber in keiner Weise für Willensverhältnisse mit so abstrakten Inhalten, wie sie die fertigen Rechtssubjekte auszeichnen:

Die "gesellschaftliche Oberfläche, in der Sphäre der Zirkulation" (279) der Waren, welche mit Marx und allen Marxisten auch Menke als einzigen sozialen Willens- und Handlungsbereich der ökonomisch aktiven Menschen des Kapitalismus kennt, ist aus sich heraus überhaupt keine Sphäre von derart abstrakten Subjekten, wie sie im Recht vorliegen und tätig werden. Und ihre Art des Verfügens über die materiellen Güter in der Warenzirkulation geht über ein materielles "Besitzen" und "Hüten" nicht hinaus. Mit den Gegenständen, die Waren sind, können auch Menschen aus Fleisch und Blut agieren, die frei im Umgang mit den verfügten Gegenständen ihr Wohl in einem sehr materiellen wie ihrer Natur gemäßen Gebrauchswert der Dinge verfolgen und keineswegs diese Gegenstände als rechtliche Sachen behandeln1.

Waren unterstellen also zwar verfügende Menschen gegenüber der Gegenständlichkeit der Dinge, die verhandelt werden. Zu Subjekten getrennt von ihrer menschlichen Gestalt werden sie damit aber nicht. Durch ihre eigene Tat gegenüber den Gegenständen sind sie das allemal nicht, selbst wenn sie sie veräußern. Zwar mögen sie durch den Akt der Anerkennung von Seiten ihrer handelnden Kontrahenten als solche Subjekte sans phrase (wahr) genommen werden, damit sind sie so abstrakte Gestalten dann aber gerade nicht durch ihre eigene Tat, also als Subjekte selbst, sondern als soziale Objekte 2. Wenn diese verfügenden Menschen einander doch als gleiche Subjekte von beliebigen Gegenständen anerkennen, tun sie das, obwohl sie es für sich als doch volle Menschen und sowohl mit wie ohne diese konkreten Gegenstände noch gar nicht sind und sein können.

Menke will die von ihm angeführten Kategorie der Ware aber gar nicht auf ihre qualitativ begründende Leistung hin zur allgemeinen wie abstrakten Rechtssubjektivität untersuchen, und so Marx bei seinen Ausführungen etwa Fehler nachweisen. Von daher bemerkt er den Mangel der Warenkategorien für eine Notwendigkeit dieser Rechtssubjektivität nicht. Er unterstellt vielmehr die Rechtssubjekte schlicht als gegeben, und damit als nicht begründenswürdig. Sein Augenmerk richtet er nur auf den Nutzen besonderer Rechtsgestaltungen, den diese als existent unterstellten Rechtssubjekte für bestimmte Zwecke und Verfahren verfolgen und erzielen.

Damit kann er befinden, dass nach Marx angeblich allein "das bürgerliche Eigentums- und Vertragsrechts" eine "Ermöglichung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse" (281) schon leistet. Daraus schließt er dann, dass es deshalb nach und mit Marx ein mehr an oder anderes Recht als das Privatrecht nicht bedürfe:

"...mehr an Recht braucht es in der bürgerlichen Gesellschaft nicht zu geben, und mehr an Recht kann es in ihr daher auch nicht geben," (281)

Dem kann aber eben entgegengehalten werden, dass in den Verfügens- und Vertragsverfahren des Privatrechts zwar die Regelungen der Warenzirkulation einen Vollzug erfahren mögen, aber

die dabei unterstellte besondere Subjektivität des Rechtsträgers als getrennt vom Menschen darüber gar keine begründende Erklärung erfährt. Diese qualitative Besonderheit des bürgerlichen Rechts (im Unterschied zu früheren Rechtsformen), das abstrakte Rechtssubjekt, ist von Menke einfach als vorausgesetzt genommen.

Gegen diese unterstellte Folgerungsleistung (und angebliche Anerkennung) nur des Privatrechts von Seiten Marx´ – statt wie von Marx (zumindest) angestrebt, des Rechts überhaupt – setzt Menke die Tatsächlichkeit eines weiteren Rechtsinhalts, das "Konzept sozialer Rechte oder besser des Sozialrechts" (282):

„Auch das Sozialrecht ist die andere Form sozialer Herrschaftsverhältnisse, aber diese Herrschaftsverhältnisse sind nicht ökonomisch bestimmte Produktionsverhältnisse.“ (285)

„Die normalisierende Herrschaft betrifft das Verhältnis von Staat und Bevölkerung, nicht das privatrechtliche der Privateigentümer oder das sozioökonomische der Klassen;...“ (287)

Er hat auch hier mit dem Inhalt dieser sozialen Regelungen und normalisierenden Herrschaft die dabei unterstellte Rechtssubjektivität als mit zu erklärende übergangen. Und auch in Bezug auf dieses Sozialrecht will er es nicht als notwendige Folge erwiesen sehen, sondern begnügt sich mit der empirischen Vorfindlichkeit und darin Nützlichkeit.

Mit anderen Worten: Warum soziale Regelungen wie auch "Verhältnisse gleicher Teilnahme" (286) in einer Gesellschaft überhaupt getrennt vom sozialen Inhalt als Recht, also sowohl als subjektiver Anspruch eines Rechtssubjekts wie als Gewährung desselben durch ein anderes Rechtssubjekt, das der Obrigkeit, daherkommen muss, ist für Menke überhaupt keine zu klärende Frage.

4. Dreh- und Angelpunkt Lohnarbeit

Schon an der Ware interessiert Menke also nicht deren Mangel an Begründungsleistung für die essentielle Rechtskategorie des Rechtssubjekts. Vielmehr gilt ihm die Nützlichkeit der von solchen Rechtssubjekten betriebenen Verfahren für die Warenzirkulation ebenfalls lediglich als bedingend und funktional für die ökonomische „soziale Herrschaft“.

Die Ware Arbeitskraft erkennt und unterstreicht er zwar als eine spezifisch kapitalistische Ware, aber die Besonderheit ihrer willentlichen Transaktion besteht nach Menke ebenfalls lediglich in deren Nutzen für die "soziale Herrschaft", die in der bürgerlichen Ökonomie statthat:

"Indem die Arbeitskraft zu einer Ware wird,..., wird das bürgerliche Privatrecht zu einem ... Mechanismus zugleich der Verdeckung und Ermöglichung sozialer Herrschaft." (279)

Diese Transaktion seiner selbst, die der Lohnarbeiter willentlich vollzieht, ist aber nicht nur als Bedingung empirisch vorausgesetzt3 zu nehmen und damit als äußerlich funktional für sein anderes, das Kapital, sondern sie enthält in sich Momente, die sie zur Grundlage für die Rechtssubjektivierung werden lassen4:

Der Willensakt des Lohnarbeiters in seiner Bezugnahme auf den Unternehmer stellt für sich einen Akt der Emanzipation von sich als Mensch wie von dem besonderen Willensakt dabei dar. Mit dieser seiner gewollten Transaktion kreiert er notwendig eine Art Subjekt, das deckungsgleich mit dem Rechtsträger als Instanz getrennt vom Menschen ist.

Wie Marx und alle Marxnachfolger hält auch Menke hier fälschlicher Weise einen Verkauf einer Möglichkeit (Arbeits-Kraft!) für den Inhalt des Willensaktes. Allerdings kann ein Verkauf einer Möglichkeit generell nur stattfinden, indem die materielle Substanz dieser Kraft verleihend übertragen wird. Im Fall der Arbeitskraft ist diese Substanz der Mensch in seiner gesamten Lebendigkeit, einschließlich seines Willens zur Arbeit. In diesem besonderen Verleihakt des Menschen nimmt der Mensch an sich eine Unterscheidung vor, kreiert eine rein ideell verfügende Subjektivität, und setzt diese aus sich heraus, tritt als dieses Subjekt quasi neben sich. Als dieses abstrakte, aber bleibende Subjekt kann er über sich selbst als menschliches Objekt so verfügen, dass er dieses Objekt, wenn auch nur auf Zeit, aber doch vollständig anderen Subjekten überlassen kann.5

Ausgerechnet der Lohnarbeiter ist damit Entstehungsgrund des Rechtssubjekts, als abstraktes Subjekt veräußerten Menschseins nämlich kleinster gemeinsamer Nenner aller Willensträger der bürgerlichen Gesellschaft, an dem diese selbst Maß nehmen wie auch gemessen werden. Zwar mögen sich auch Geldeigentümer schon aus ihrem Interesse an der Vermehrung ihres Geldes dazu vorarbeiten, ihre Eigentümerschaft zu delegieren und als juristisches Subjekt (etwa einer Aktiengesellschaft) getrennt von sich neu erstehen zu lassen. Aber nur im Willensakt des Lohnarbeiters entsteht unumgänglich und eindeutig eine Art Subjekt, das so qualitätsarm und punkthaft ist, dass eine Identität desselben für alle zurechenbaren Verfügungsgegenstände und Lagen der menschlichen Lebenszeit geschaffen ist, sowie eine Gleichheit mit allen Subjekten seiner Art, weil unabhängig von der natürlichen Besonderheit der Menschen, überhaupt wirklich sein kann. Die allgemeine, also nicht nur in privaten Abmachungen, sondern auch politische Anerkennung des Lohnarbeiters als Rechtssubjekt ist dann zugleich die gleichmacherische Realisierung des Rechtssubjekts überhaupt, auf das (erst dann) alle Mitglieder der bürgerlichen Gesellschaft jenseits von Privilegierung reduziert und verpflichtet werden (können). Und allein ein derartig vom Menschen abstrahiertes Subjekt kann als rein juristische Person auch ganz ohne menschliche Substanz Existenz gewinnen. Diese Art Subjekt kann dem Menschen als dennoch sein eigener Wille nicht nur von ihm getrennt und besondert sein, sondern ihm auch ge- und verbietend gegenüber treten – und darin dennoch eine demokratisch vollzogene, wenn auch nur kalkulatorisch relativierte Zustimmung erfahren.

5. Recht als einzig mögliche Kritik an Herrschaft und an sich selbst

Das Subjekt des Rechts selbst und für sich enthält im Gegensatz dazu nach Menke allseitig (also sowohl als beanspruchendes wie als gewährendes staatliches) keinerlei inhaltliche Festgelegtheit jenseits der Willen der Menschen. Es existiert und gilt für Menke unabhängig von gesellschaftlichen Bestimmungen, und kommt so den Menschen per se zu, noch bevor sie soziale Akteure werden. Menke betrachtet nur bestimmte Gestaltungen des Rechts durch diese gegebenen Rechtssubjekte, erst in den durch sie betriebenen ökonomischen Transaktionen wie politischen Kämpfen um Teilhabe waltet für ihn die (soziale) Herrschaft.

Dass Menschen ihre Interessen (wie etwa die 40-Sunden-Woche) nicht nur als Menschen verfolgen und berücksichtigt erfahren, sondern neben ihrer menschlichen und materiellen Wirklichkeit als rechtliche, also für sich als Rechtssubjekt fixiert haben wollen und bekommen, diese Besonderung der rechtlichen Sphäre erklärend ins Auge zu fassen, hat Menke durch sein Räsonnement erfolgreich umgangen.

Menkes Argumentation beansprucht, einen "simplen Reduktionismus" (275) einer ökonomischen Festgelegtheit zu vermeiden, indem er die ökonomische Bestimmtheit von Rechtsinhalten um ihr politisches Werden ergänzt, das in einem konkurrierenden rein gewollten Recht resultiert: Sozialrecht. Beide Rechtsinhalte stellen nach Menke nicht nur einen Dienst an Herrschaft, sondern direkt auch Kritik von Herrschaft dar. Allerdings keine Kritik des Rechts selbst und überhaupt, noch von Herrschaft im allgemeinen, wie sie von Marx konzipiert war, aber doch der jeweils konkurrierenden Herrschaftssphären:

„Beide Gestalten des Rechts der bürgerlichen Gesellschaft sind nicht nur herrschaftsfunktional, jeweils die andere Form einer Gestalt sozialer Herrschaft – ...– , sie sind dies so, dass sie zugleich herrschaftskritisch sind: die Kritik der jeweils anderen Gestalt sozialer Herrschaft.“ (294)

Damit kann nach Menke jede Kritik von Recht nur eine an seinem einzelnen Inhalt und seiner besonderen Sorte Herrschaft vom Standpunkt anderen Rechts sein, und damit als Kritik von Recht überhaupt und im Allgemeinen keine Geltung beanspruchen. Insbesondere ist damit die Marx zugeschriebene „Kritikmatrix“ entwertet, zu der Menke sich anfangs so unbedingt wie argumentlos bekannt hatte:

„Die soziale Kritik des Rechts, die Marx... umreißt, … hat ihren Ort im Recht, im Kampf der Rechtsgestalten gegeneinander.“ (294)

„Weil die soziale Kritik des Rechts der politischen Logik unterliegt – weil die soziale Kritik des Rechts im politischen Kampf geübt wird, der stets wieder eine andere Rechtsgestalt hervorbringt – kann die soziale Kritik des Rechts die soziale Logik des Rechts nicht durchbrechen, sondern reproduziert sie stets wieder in entgegengesetzter Gestalt.“ (295)

Und so hat Christoph Menke sich und uns das kritische Mahnmal Frankfurter Schule zum Recht in bewährter Exzellenz doch noch erhalten:

„Kann die schlechte Unendlichkeit der bürgerlichen Gesellschaft, der mythische Umlauf ihrer Rechtsgestaltungen überwunden werden?“ (295)

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1  Um Missverständnisse zu vermeiden: Das richtet sich nicht gegen die Phänomenalität des wirklichen Lebens, dass es doch tatsächlich rechtliche Verfahren sind, mit denen die Transaktionen von Waren abgewickelt werden. Das Argument hier lautet, dass für die Transaktion allein der Warengegenstände keine derartig abstrakten Subjekte, Verfügungsweisen und Verfahren, wie sie im Recht vorliegen, von Nöten wären.

2  Dass vom Ausgangspunkt der Ware her dieses Ergebnis einer Nicht-Subjektivität des Warenhüters resultiert, dokumentiert die theoretische Anstrengung von Paschukanis, der als Gründervater aller marxistischen Rechtstheorie gilt. Angesichts seiner folgerichtigen Widersprüchlichkeit ist seine Ableitung des Rechts aus den Waren-Kategorien des Kapitals zu verwerfen, vgl. dazu Harald Haslbauer bei http://www.eigentum-und-person.de/8.html

3   Mit dem freien Lohnarbeiter als existentielle Bedingung kann Menke sich allerdings sogar auf Marx berufen, dem die (historische) Vorfindlichkeit des Lohnarbeiters als (falscher) logisch notwendiger Schritt von der Ware zum Kapital hinreichte.

4  Ohne den Nachweis eines solchen notwendigen Übergangs von der bürgerlichen Ökonomie ins so ganz andere Reich des (rechtlichen) Willens, hätte man sich in der Tat mit dem Recht als lediglich kontingentem Phänomen abzufinden. Ein Urteil zur bürgerlichen Gesellschaft als Einheit, wie Menke sie vorstellt, ist dann willkürlich und bleibt Behauptung. Die Fassung des Rechts nur als „Anderes“ der bürgerlichen Gesellschaft stellt sich positiv zu diesem Mangel, will offensiv ihn nicht beheben.

5   Vgl. H.Haslbauer: Eigentum und Person. Begriff, Notwendigkeit und Folgen bürgerlicher Subjektivierung. 2010