Kommentar zu Kilian Stein: Die juristische Weltanschauung, Hamburg 2010

Stellungnahmen zum Recht sind von linker Provenienz selten. Gerne wird sogar die Rechtlichkeit linker Anliegen beschworen, wie sehr sie gerade Erfüllung dessen sein sollten oder könnten, was in Recht und Gesetz schon vorgesehen ist. Das sieht Stein nicht (ganz) so. Er beklagt das Recht als falsche Weltanschauung, also als Sichtweise auf die Gesellschaft, die ihren wahren Inhalte verzerrt. Das ist eine Kritik des Rechts. Aber eine falsche.

Eigentum
Dass ein zentraler Inhalt des Rechts das Eigentum darstellt, wird von Stein hervorgehoben, auch macht er kenntlich, dass Eigentum doch nicht das schlichte Haben von Gegenständen darstellt. Stein befindet allerdings, dass Eigentum keine eigene Art des Verfügens darstellt, sondern nichts anderes ist als der materielle Besitz – zumindest was das Verhältnis zwischen Eigentümer und Sache betrifft.
Stein weiß allerdings - wie jeder in unserer Gesellschaft, und erst recht ein Jurist - um die Nichtidentität von Eigentum und Besitz. Weil er keinen Unterschied zwischen Eigentum und Besitz in der Qualität des Verfügens feststellt, entdeckt er die Besonderheit des Eigentums in etwas anderem als im Verfügen selbst.
Die Qualifizierung des Besitzes zum Eigentum besteht für ihn so in der gesellschaftlichen Anerkennung des Besitzes. Somit findet nach Stein dann keineswegs Anerkennung „von“ Eigentum statt, sondern höchstens die Anerkennung von Besitz („als“ Eigentum). Eigentum in seiner Besonderheit hat so für Stein nichts mit dem Willen des Eigentümers selbst zu tun, sondern fällt ganz in den Willen der anerkennenden Menschen, also der Nichteigentümer.

Gegenthese:
Eigentum ist für sich eine besondere, nämlich eine abstrakte, unbedingte Form von Verfügen, ein besonderer Willensakt, gleichgültig gegen die Qualitäten des Subjekts wie des Objekts dabei. Und unterscheidet sich darin von materiellem Verfügen, Besitzen, Hüten... Vielmehr wird dem materiellen Besitz durch das Eigentum seine nachrangige, nur gewährte Rolle zugewiesen. Damit ist Anerkennung, wenn sie denn stattfindet, Anerkennung doch von Eigentum, des besonderen Verfügungsverhältnisses, das der Eigentümer für sich und selbstbewußt zum Gegenstand einnimmt.


Der Grund des Eigentums
„Die Warenbesitzer produzieren und reproduzieren in der Masse der Vertragsbeziehungen ... das Privateigentum als das rechtliche Element“ (21).
Nachdem für Stein Eigentum (von der Seite des Verfügens dasselbe wie Besitz und) nur die Anerkennung von Besitz darstellt, findet er den Grund dafür in d e r gesellschaftlichen Tat, wo Besitzer einander als Besitzer respektieren, in der Zirkulation der Ware: Austausch findet da in der Tat nur statt unter Anerkennung des Besitzes durch den Nicht-Besitzer.
Die kapitalistische Verwertung ist damit gerade nicht als Grund für das Eigentum ermittelt, sondern als solcher höchstens behauptet.

Gegenthese:
Ware und Tausch mögen gut sein für den Akt der Anerkennung von irgendeiner Verfügung, den besonderen Inhalt von Eigentum, abstraktes Verfügen (s.o.), machen sie nicht notwendig. Der Grund für das abstrakte Verfügungsverhältnis Eigentum ist nicht das schlichte Tauschen von irgendetwas, sondern der Verleih (gegen Geld). Im Verleih trennt sich die materielle von rein willentlicher, eben abstrakter Verfügung. Diese Verleihverhältnisse von Geld, Natur und Mensch - bekannt nach Marx als die bürgerlichen Einkommensquellen in der Folge der Verwertung von Wert -, verwirklichen also nichts als diese Ausbeutungsverhältnisse. Und erst die Tat des Unternehmers stellt mit der produktiven Zusammenführung dieser angeliehenen Gegenstände dann alle Produkte als Waren notwendig ebenfalls in Eigentumsverhältnisse.


Die Ware Arbeitskraft
Für Stein gilt der Tauschakt nicht beim Lohnarbeitsverhältnis, weil da angeblich Dinge verschiedenen Wertinhalts getauscht werden, und so „ökonomisch gesehen kein Austausch stattfindet“ (56). Zwar verwehrt er sich (mit Marx) gegen den Gedanken einer Verletzung des „Prinzip(s) der Äquivalenz“ (112), wiederholt aber gerade dieses Argument am Recht als „juristische Leerform“(57), diesem beim Lohnarbeitsverhältnis nur „Schein des Kontrakts zwischen freien Personen“ (67).

Gegenthese:
Bei der Lohnarbeit ist (wie bei den anderen Einkommensquellen) die maßgebliche Transaktion tatsächlich nicht ein Tausch - das gilt aber für den Inhalt wie die Form dieser Transaktion. Hier findet ein Verleih statt: Ein Verkauf auf Zeit ist (wie jeder schon weiß) sowieso nichts anderes ist als ein Verleih. Ein derartiger Verkauf oder eben Verleih einer Kraft, also einer Möglichkeit, kann materiell nur in dem Verleih des Gegenstandes bestehen, der der Kraft zugrunde liegt. Der Lohnarbeiter verleiht sich mit Haut und Haaren, mit Körper und Geist. Gerade deshalb muß er ein abstraktes Willensverhältnis zu sich einnehmen, welches das Verfügungsverhältnis Eigentum beinhaltet; wie auch ein abstraktes Subjekt aus sich heraussetzen, die Person.


Rechtsperson
„Sie (die Warenbesitzer) können Eigentum an Waren nicht nur haben und es nutzen, sondern auch solches erwerben und veräußern. Dies macht sie zu Rechtssubjekten. ...Der Warentausch als allgemeiner gesellschaftlicher Prozeß bringt das Privateigentum der Warenbesitzer und damit ihre Stellung als formal gleiche und freie Rechtssubjekte hervor“ (38f).
Stein will da mit Marx (KI,S.99) nicht nur behaupten, dass die Anerkennung im Warentausch das Eigentum notwendig macht, sondern zugleich, dass diese Anerkennung selbst handelbar ist und so die Rechtsperson hervorbringt.

Gegenthese:
Weil der Lohnarbeiter sich mit Körper und Geist verleiht, muß gerade er ein abstraktes Subjekt aus sich heraussetzen, das nichts materielles an sich hat, nur reiner Willensakt des Verfügens auch unter Abstraktion vom Objekt ist und sein will: die Person. So ist diese Person Inbegriff der Rechtsperson und tätiger Prototyp aller Rechtssubjekte der bürgerlichen Gesellschaft; der selbstbewußte Willens-Kristall der jedermann bekannten rechtlichen Anerkennung und juristischen Verfahren. Dieses Rechtssubjekt ist nicht etwa nur eine äußere „Stellung“ des Anerkanntseins „als“; und so auch nicht nur „formal“ zu nennen, sondern gerade von seinem Inhalt her sowohl frei von materieller Subjektivität als auch gleich all den anderen Subjekten seiner Art.


Recht als „Weltanschauung“
Das Recht ist so für Stein eine Sphäre nur „formaler Gleichheit und Freiheit“ (89) und „täuschender Erscheinungsformen“ (64), insofern nur ein irreales „Trugbild“ (87), ein „Fetisch“(87), dem die Leute wegen der Warezirkulation anheimfallen. Das Recht selbst ist mithin nur beschönigende Form anderen, des ausbeuterischen ökonomischen Inhalts.
Wegen dieses für sich idealen Inhalts des Rechts kann Stein „sozialen Menschenrechten“ auf der Grundlage von dem „gemeinsamen Eigentum frei assoziierter Individuen an den Produktionsmitteln und der Erde“ (104) dann doch etwas positives abgewinnen.

Gegenthese:
Eigentum und Person sind einerseits die Konsequenz der Verwertung von Wert. Aber sie sind es gerade als eine Welt für sich, als ein Inhalt, der für sich steht und existiert, und nicht nur ideelle Formierung des ökonomischen Inhalts ist.
Diese Subjektivierung der sachlichen Gesellschaftlichkeit als und im Recht ist damit andererseits die willentliche Durchführung der sachlichen Verwertung von Wert. Jenseits dieser bürgerlichen Gesellschaft hat Eigentum und Recht weder Sinn noch Notwendigkeit.